Endlich habe ich meine über 400 Bilder von den Wochen auf dem Land in Rumänien sortiert und bearbeitet, was keine leichte Aufgabe angesichts der Menge der Fotos war und bin nun soweit, Euch einen ersten Teil davon zeigen zu können – ein “bisschen” Sonntagslektüre in Form eines Reiseberichts gibt’s auch dazu. Nächste Woche folgt mehr!
Die Gegend im Süden Rumäniens um die Stadt Giurgiu an der Donau ist nicht besonders reich und bildet jedenfalls ein krasser Kontrast zur Hauptstadt Bukarest (hier und hier nachzulesen) oder zu anderen, wohlhabenderen Regionen wie Siebenbürgen (mehr Bilder aus Rumänien findet Ihr hier). Man könnte meinen, in manch einem Ort ist die Zeit stehengeblieben – aber das Leben geht weiter mit viel Tradition und Gemütlichkeit… Das Bild hier ist jedenfalls nicht uralt, sondern inszeniert im 21. Jahrhundert – zur großen Überraschung der Bäuerinnen, dass ein Kind aus Deutschland barfuß in rumänischer Tracht durch den Staub geht. Grund genug, der Nachbarin diese “Sensation” weiter zu erzählen…
Denn überhaupt: das Leben der Leute auf dem Land besteht meistens aus Arbeit auf dem (mitunter eigenen) Feld oder im eigenen Garten und abends aus Tratsch und Klatsch mit den Nachbarn. Nicht umsonst steht vor JEDEM Zaun bzw. vor jedem Haus eine Sitzgelegenheit, meistens eine Bank – zum gemütlichen abendlichen Sitzen, Beobachten und vor allem um neueste Nachrichten zu erhalten und weiter zu geben. Wenn irgendwo etwas passiert, dann weiß darüber wenig später das ganze Dorf Bescheid… Die Bank ist so eine Art Social Media Plattform also – Facebook, Instagram und Twitter in einem 😉 und typisch für das ländliche Rumänien.
Viele der Dorfbewohner sind schon alt und haben ihre Kinder und Enkelkinder in der Stadt – sie sind dahin für ein besseres Leben gegangen – auf dem Land gibt’s ja nicht so viel Arbeit, nur die auf dem Feld… Ich habe junge Leute gefragt, die vor dem Laden (gleichzeitig auch Kneipe) saßen und scheinbar nichts taten, wie sie das Ganze sehen, wo es besser ist, zu leben. “Hier auf dem Land” sagten sie überraschend – da sei es ruhiger, in der Stadt gibt’s keine Arbeit (aber auf dem Land auch nicht…), es sei dort zu hektisch und zu viel los. Das wundert mich, denn Jugendliche möchten doch eher am pulsierende Leben teilnehmen… es sei aber in Frage gestellt, ob das Leben in der kleinen Stadt Giurgiu tatsächlich so pulsierend und hektisch ist wie das in der Großstadt Bukarest – da habe ich meine Zweifel… Auf die Frage, was sie mögen oder auch nicht, antworteten sie “dass es geklaut wird”. “Im kleinen oder im großen Stil?”. “Im großen…”. Nichts Neues, dass “die da oben”, egal welcher politischer Couleur, lieber was für sich tun als fürs Volk. So zumindest mein Eindruck…
Und wenn wir schon beim “vor dem Laden” sind, hier sind Einblicke in zwei solcher Gemischtwarenläden, die in ganz Rumänien auf dem Land zu finden sind. Man kann dort von Nahrungsmittel (Käse, Wurst, Brot, Kartoffeln, Bonbons, Getränke…) bis Nagellackentferner, Kleidung, Schulhefte, Garn, Klopapier (einzeln) und Windeln (einzeln) fast alles kaufen, allerdings nicht immer besonders gut. Für mehr und für eine qualitativ deutlich bessere Auswahl muss man in die nächste Stadt, da gibt’s z. B. den deutschen Supermarkt Kaufland. (Sorry für die Bilder, diese sind mit dem Handy gemacht worden).
Obst und Gemüse und auch Kleintiere und Geflügel hat jeder in seinem Garten, Landwirtschaft wird großgeschrieben und ist Hauptteil der Wirtschaft auf dem Land. Die sehr warme und sonnige Gegend ist ideal für Obst – wir haben eine Plantage besucht, täglich werden tonnenweise Äpfel und Pflaumen davon auf dem Großmarkt verkauft. Sogar der Platz zwischen den Bäumen wird genutzt, z.B. für Kohl…
Jedenfalls kann sich das Ganze schmecken lassen – die Erde ist gut, die Bewässerung und die Sonne tun den Rest. Wenn Ihr glaubt, dass das Gemüse und das Obst hier in Deutschland schmecken, dann müsst Ihr mal nach Rumänien! Schade aber, dass seit dem EU-Beitritt die Bauer dort zunehmend westeuropäische Sorten züchten und verkaufen müssen, um die Wirtschaft in Westeuropa anzukurbeln, und diese Sorten schmecken anders, als ich das aus meiner Kindheit kenne… Auf dem Markt wird die Ware immer noch als “rumänische Tomaten”, “rumänische Melonen”… angepriesen, aber das stimmt nur bedingt – weil sie in Rumänien gepflanzt wurden. Die kritische Nachfrage beim Verkäufer bringt oft die Wahrheit ans Licht, aber was sollen sie auch machen – sie müssen irgendwie ihre Ware verkaufen und die Bevölkerung kauft lieber einheimische Lebensmittel, so werden auch die ausländischen Sorten als rumänische verkauft… Beim kleinen Bauer, der aus seinem Garten auf einem Hocker Tomaten am Straßenrand vor seinem Haus verkauft (oft zu sehen), schmeckt das Ganze dann doch wieder.
Vor einigen Jahren haben wir bei der Traubenernte mitmachen können, das war schon ein Erlebnis! (Auch wenn die Bilder etwas älter sind, passen sie hier wunderbar dazu). Nach der Ernte – da kommen auch Nachbarn zur Hilfe – kommt der Mann aus dem Dorf, der die “Maschine zum Trauben-Kaputt-Machen” (wie meine Tochter damals sagte) besitzt und da wird der Traubensaft gewonnen. Diese Maschine sieht uralt aus und ist laut, macht aber ihre Arbeit gut… so dass etwas später zwei dafür bestimmte Riesenflaschen voll mit dem Traubensaft waren, dem spätere Wein.
Wer keine Trauben hat, hat vielleicht Ziegen oder Hühner. Man kann bei vielen Bauern frische Eier, Milch oder gar ein ganzes Huhn kaufen und das schmeckt natürlich auch.
Schlechter sieht es aus mit dem Wasser. Bis vor einigen Jahren gab es in dem Dorf kein fließendes Wasser – jeder hat einen Brunnen im Garten. Wer nicht so viel Glück mit seinem Brunnen hat, weil er ständig voller Sand und somit verstopft ist, muss sich ggf. einen neuen bohren lassen – die “Firmen”, die so etwas anbieten, sprießen aus dem Boden wie die Pilze nach dem Regen, auf vielen Strommasten oder Zäunen kann man Werbezettel “Execut puturi” – “Ich baue Brunnen” sehen. Als endlich fließendes Wasser kam wurden leider von der Kommune die Zisternen zu klein kalkuliert – die vergaßen, dass die Leute auch Wasser zum Bewässern ihrer Gärten brauchen und so ist an einem heißen Tag im Sommer (was so gut wie jeden Tag der Fall ist) das fließende Wasser in kürzeste Zeit alle und wieder am Abend zu haben, wenn die Zisternen wieder voll sind. Und wem der Brunnen gerade mit Sand verstopft ist, muss sich beim Nachbarn Wasser leihen oder im Laden kaufen…
Wasser gibt’s aber auch an dem zentralen Brunnen im Dorf, dort ist auch die Teppich-Reinigungsstelle und ein Spielplatz, wo ich allerdings nie ein Kind spielen sah…
An einem Tag bin ich etwas herumgefahren und habe Häuser und Straßen fotografiert. Die Straßen unterscheiden sich in zwei Kategorien – Hauptstraßen und Nicht-Hauptstraßen. Die Hauptstraßen der Dörfer und natürlich auch zwischenörtliche sind asphaltiert, der Rest meistens nicht. Es ist ein regelrechtes Abenteuer, mit dem Auto darauf zu fahren, wenn man die “Berge und Täler” und die Schlaglöcher nicht kennt. Das Problem sind die gelegentlichen starken Regenfälle, die den ganzen Sand wegfließen lassen, so dass tiefe Furchen und Steine übrig bleiben. Offroad Feeling in Rumänien!
Die Verkehrsmittel der Wahl sind neben dem Auto – oft im Nachbarland Bulgarien registriert, weil es da billiger ist – der Pferdewagen, der Traktor oder das Motorrad. Wobei ein Pferdewagen wegen der Ladefläche immer den Vorzug hat, denn ein Traktor können sich nur sehr wenige leisten. Oder man geht zu Fuß. Für die Kinder gibt’s, glaube ich, ein Minibus, der sie zur Schule zum nächsten Ort bringt.
Apropos Schule: hier sind vier staatliche Einrichtungen, von oben links im Uhrzeigersinn: die Grundschule, der Kindergarten, das “Kulturheim” und das Rathaus, allesamt pastellfarben. Das “Kulturheim” gab es in den 50 Jahren kommunistischen Regimes in jedem Dorf und in jeder Kommune (in der Stadt hieß das “Kulturhaus” und war elitärer) und war der Ort, wo diverse kulturelle Vorstellungen und Kulturpropaganda (Volksmusik, Tanz, Ankündigungen, Kinovorstellungen…) stattfanden, für alle Bewohner zugänglich.
Bunte, farbenfrohe Häuser sieht man übrigens im ganzen Land (aber besonders in Siebenbürgen), auch wenn sie hier im Dorf nicht immer unbedingt schön oder gepflegt sind… Viele alte Häuser hier im Süden des Landes wurden aus Ziegel aus einer Lehm- und Strohmischung gebaut – die zwar angeblich ein gutes Wohnklima (warm im winter, kühl im Sommer) begünstigt – wurden aber nicht renoviert oder instandgehalten und verfallen nach und nach und werden verlassen. Nichtsdestotrotz kann man oft schöne Holzverzierungen noch sehen.
Wer ein bisschen mehr Geld hat und/oder aus der Stadt kommt, baut auf einem bestehenden Grundstück ein neues Haus oder pflegt sein altes Haus und seinen Zaun, und schon sieht das Ganze besser aus – ein bisschen frische Farbe kann viel ausmachen! Wobei: das rechts ist schon protzig! Aber: man zeigt gerne, was man hat. Und wenn die anderen das nicht sehen können, dann sollen sie das aber zumindest hören: abends ertönt aus diversen Höfen Volksmusik – traditionell oder “modern” angehaucht, je lauter, desto besser. Damit der Nachbar hört, dass man eine Stereoanlage hat und neidisch wird… So wurde mir das zumindest erklärt ;-).
Kaum frische Farbe gibt’s auf der “Straße der Hoffnung” – ironischerweise so genannt, denn hier sieht es nicht nach Hoffnung aus – staubig und verfallen, aber mit Satellitenschüssel! Also doch ein bisschen Hoffnung? Der Hufeisen bringt vielleicht etwas Glück!
Viel Hoffnung auf ein besseres Leben haben auch die Familien der Roma nicht – aber leider nur einige versuchen’s dennoch mit einem ehrlicheren Lebensstil und arbeiten oder schicken ihre Kinder zur Schule – für Roma als Minderheit gibt es speziell ausgewiesene Plätze in Gymnasien und Universitäten. Die meisten sind Tagesarbeiter oder fahren nach Westeuropa und werden dort saisonale Obstpflücker – über den Rest brauche ich nicht zu schreiben, jeder kennt wahrscheinlich die Probleme, die mit dieser Minderheit in Verbindung gebracht werden… Jedenfalls wohnen sie nicht gerade gut, die Häuser sind irgendwie zusammengeflickt, die Dusche steht im “Garten” – aber der Pool auch…
Tja, was bleibt noch übrig für heute? Vielleicht die Bilder mit dem Kabelsalat, was wirklich überall zu sehen ist, in der Stadt sowie auf dem Land. Es ist mir ein Rätsel, wie das Ganze noch funktioniert. Wie ich schon beim Kapitel Bukarest schrieb, man möchte das unterirdisch verlegen, irgendwann… Vielleicht hilft “er da oben”, das hört man öfter in Rumänien.
Nächste Woche nehme ich Euch zum Markt der Stadt Giurgiu mit und zeige Euch ein Bauernhaus von innen! Bleibt gespannt und habt einen schönen Sonntag!
*nane sagt
Liebe Iona,
das ist wieder ein sehr interessanter Post mit schönen Fotos und einem guten Einblick wie es in Rumänien auf dem Land so ist.
Ich finde das toll, zu sehen und zu lesen !
Liebe Grüße
Nane
Miss-Red-Fox sagt
Liebe Nane, ich danke Dir!
Ich lebe lange nicht mehr in dem Land und nehme Sachen als "Außenstehende" vielleicht anders wahr, aber ich habe mich lange mit meinen Eltern über die Lage unterhalten und habe so viel aus erster Hand erfahren – auch zum Teil von den Nachbarn.
Das ist schon eine andere Welt und die Region ist nicht besonders reich, wenn man sie mit anderen Provinzgegenden im Land vergleicht. Siebenbürgen, wo mein Vater herkommt, ist da schon anders, liegt wahrscheinlich auch an der Mentalität und daran, dass die Leute da fleißiger sind… Aber leider hatten wir dieses Jahr keine Zeit, dorthin zu reisen.
Ich freue mich, dass mein Bericht Dir gefallen hat!
LG Ioana
Fee von fairy likes... sagt
Was für tolle Eindrücke, liebe Ioana! Deine Tochter sieht so süß aus in der Tracht, bei den Bänken vor den Türen musste ich schmunzeln und bei der Geschichte mit der Stereoanlage richtig lachen… Danke für diese Bilderreise in Deine Heimat. Lieben Gruß von fee
Miss-Red-Fox sagt
Das freut mich aber, liebe Fee! Am liebsten hätten wir das Trachtkostüm behalten, es war richtig schön verziert und bearbeitet, war aber nur eine Leihgabe… Meistens ist abends dort doch ruhig und ich freue mich darüber, ich möchte nicht täglich mit lauter Volksmusik "bespaßt" werden. Und wehe, Du erwischt eine Hochzeit oder so, dann feiern sie aber mehr als einen Abend lang… Liebe Grüße, Ioana
chai-and-chardonnay.blogspot.com sagt
Eine andere Welt, andere Wertvorstellungen . Wir im reichen Teil der Welt können uns nicht vorstellen das es KEIN Wasser aus dem Hahn gibt. Häuser aus Stroh und Lehmgemisch hat sogar Corbusier als Isolierungsmaterial benutzt.Romas als Minderheit leben überall an der Grenze der Gesellschaft, wie gut das es in Rumänien Schulen und Universitäten gibt…ich kenne das Problem aus Ungarn und dort ist die Situation nicht so toll.
Ok, Deine Tochter sieht so lieb aus in der wunderschönen Tracht und die Portraits sind super – ein ganzes Leben voll Arbeit und Entbehrung.
Miss-Red-Fox sagt
Nun, das mit den Schulen und den ausgewiesenen Plätzen für die Minderheiten ist eine Sache, die andere ist, ob sie auch benutzt werden. Denn viele Roma wollen nicht offiziell angeben, dass sie solche sind und können somit die Plätze nicht bekommen.
Es gibt leider auch genung Menschen, die ihre Kinder – trotzt Schulpflicht – lieber nicht zur Schule schicken – weil Kosten für Klamotten, Hefte etc. damit verbunden sind (die Schule an sich ist kostenlos). Der Sohn der Romafamilie hier im Bild hat's bis zum Abitur geschafft, den aber dann doch nicht, weil er nicht genug lernen wollte… und jetzt geht er halt Himbeeren pflücken. Schade für ihn, er wird Tagesarbeiter wie sein Vater und nutzt seine Chance nicht.
Die meisten Roma auf dem Land versuchen schon, irgend eine Arbeit zu finden, die in der (Groß)Stadt eher nicht – das sind eher die jenigen, von denen man in den öffentlichen Verkehrsmitteln seine Taschen hütten sollte… habe leider immer wieder "Erfahrungen" damit gesammelt, als ich in Bukarest wohnte.
In der Grundschule hatte ich eine Lehrerin – die gab es zu, eine Roma zu sein, war aber eine echte Lady – stets gut angezogen und gut erzogen, perfekt gestylt und kultiviert – das gibt's auch, wenn nur sehr selten…
Ich versuche meinen Kindern die Augen zu öffnen, wenn wir da sind, dass wir es hier in Deutschland doch sehr gut haben und dass es ihnen hier an nichts fehlt, im Vergleich zu den Kindern dort… ich hoffe, dass sie das irgendwann verstehen!
Danke für Deinen Besuch und Deinen Kommentar, ich habe mich sehr gefreut!
chai-and-chardonnay.blogspot.com sagt
Vielen Dank fuer Deine Anrwort! Es ist schade wenn es die Moeglichkeitt auf eine gute Schulbildung gibt und sie dann nicht wahrgenommen wird. Manchmal sind es die Eltern die nicht wollen das die Kinder etwas " besseres " werden.
Schoenen Abend noch!
einfallsReich amy k. sagt
wunderschöne, spannende, neugierigmachende impressionen!!!
herzlichste grüße & wünsche an dich 😉
amy
Kelleyn Rothaermel sagt
Such wonderful photos! Beautiful! You captured the spirit of the countryside!